aus: "Sterne und Weltraum" 34-7 (1995), S.554

Videobeobachtung von Meteoren (I)

Aufzeichnung von Sternschnuppen und Auswertung der Videobänder


Seit nunmehr über zwei Jahren beschäftigt sich ein Team von vier Amateuren an der Archenhold-Sternwarte Berlin mit dem Einsatz von Videotechnik in der Meteorbeobachtung. Angeregt durch einen kanadischen Beitrag auf der International Meteor Conference versuchten wir im Sommer 1992 zum ersten Mal, Meteore mit der uns damals zur Verfügung stehenden Videotechnik aufzuzeichnen. Nach schnellen Anfangserfolgen begannen wir, das von uns verwendete System zu verbessern und Alternativen zu prüfen. Nachdem die Zahl der registrierten aber unverwerteten Meteore schließlich immer größer wurde, arbeiten wir seit letztem Jahr mit großen Nachdruck an einer computergestützten Auswertung der Videobänder. Vor kurzem wurde ein Hauptteil des Programmpaketes fertiggestellt. Wir testeten es mit Hilfe der vorhandenen Aufzeichnungen und nahmen erste weiterführende Untersuchungen an den ausgewerteten Meteoren vor.
Der erste Teil des Beitrags skizziert die nötige Hardware zur Videometeorbeobachtung. Es werden Komponenten und Aufbau möglicher Videosysteme erläutert und ihre Tauglichkeit bewertet. An Hand unseres Programmpaketes sollen Probleme der Auswertung von Videobändern diskutiert und mögliche Lösungen vorgestellt werden.
Im zweiten Teil werden dann verschiedene Einsatzgebiete der Videotechnik bei der Meteorbeobachtung behandelt. Auf der Grundlage konkreter Auswertungsergebnisse wird gezeigt, wie universell Videotechnik einsetzbar ist und welche weiteren Anwendungsmöglichkeiten sich in Zukunft ergeben können.


Jeder Besitzer eines Camcorders hat sicherlich schon einmal probiert, die Kamera gen Himmel zu halten und zu sehen, ob sich ein einfaches handelsübliches Gerät zu amateurastronomischen Zwecken eignet. Befestigt man den Camcorder an ein Fernrohr mit genügend großer Öffnung, kommt man schon sehr schnell zu verblüffenden Ergebnissen: Planetenbilder lassen sich 'in Echtzeit' aufzeichnen, ihre Betrachtung auf dem Fernseher bringt bei richtig eingestelltem Kontrast oftmals mehr Details zutage als die normale visuelle Beobachtung. Sternbedeckungen, vor allem streifende Ereignisse, lassen sich mühelos dokumentieren und anschließend millisekundengenau ausmessen. Sonne und Mond zeigen Details, die das Herz jedes Amateurs höher schlagen lassen und zum sofortigen tieferen Einstieg in die Materie animieren.
Wie sieht es aber mit der Aufzeichnung des Nachthimmels ohne Fernrohr aus? Schnell wird man erkennen müssen, daß die Kamera ohne weitere Zusatztechnik hierzu nicht geeignet ist. Betreibt man das Gerät bei maximalem Zoom, kann man zwar meistens Sterne bis zur 5.Größenklasse sichtbar machen, das Gesichtsfeld beträgt dann aber nur wenige Grad. Ein größeres Gesichtsfeld erreicht man, indem man das Zoomobjektiv in den Weitwinkelbereich dreht. Leider reicht dann aber selbst die Lichtstärke der teuersten Camcorder nicht aus, mehr als nur die allerhellsten Sterne zu zeigen.
Für die Meteorbeobachtung bedeutet das, daß ein Camcorder allein höchstens zur Beobachtung von Feuerkugeln taugt, man also auch gleich zum Fotoapparat greifen kann. Die Situation ändert sich jedoch schlagartig, wenn man vor die Kamera eine lichtverstärkende Einheit, einen Bildverstärker, setzt. Unter den professionellen Meteorastronomen wird dieses Verfahren bereits seit den siebziger Jahren eingesetzt, in der internationalen Amateurszene gab es erst seit 1986/87 erste Versuche durch japanische und holländische Beobachter. Wir erhielten die Anregung zur Nutzung eines Bildverstärkers auf der International Meteor Conference 1992 in Smolenicè. Zwei kanadische Astronomen präsentierten dort ihr Videosystem und warteten mit beeindruckenden Leistungsmerkmalen und Einsatzmöglichkeiten auf. Kurz nach der Konferenz begannen wir daher, ein eigenes Videosystem namens MOVIE (Meteor Observation with VIdeo Equipment) zu entwerfen. Was zuerst wie eine technische Spielerei anmutete, entpuppte sich schon nach der ersten Beobachtungsnacht als leistungsstarkes System zur Himmelsüberwachung: Binnen 2 Stunden hatten wir bei Mondschein und starker Quellbewölkung 12 Perseiden aufzeichnen können, was mit der Zahl der parallelen visuellen Sichtungen vergleichbar war. Wir setzten unser Videosystem fortan bei allen Meteorbeobachtungen ein und konnten im Laufe der Zeit neben zahlreichen Meteoraufnahmen viele Erfahrungen mit der Videotechnik gewinnen. Anfangsprobleme wurden behoben und weitere Verbesserungen steigerten den Beobachtungskomfort mit MOVIE. Neben den eigenen Beobachtungen bemühten wir uns, die Videotechnik auch anderen Meteorbeobachtern nahe zu bringen und neue Interessenten zu gewinnen. Durch internationale Kontakte und das Studium der vorhandenen Literatur gelang es, die Parameter unseres Systems mit denen anderer Anlagen zu vergleichen und daraus wichtige Schlüsse über die Leistungsfähigkeit und Grenzen von Videosystemen generell und speziell unserer MOVIE zu ziehen.
Als eines der grundlegenden Ergebnisse der letzten Zeit können wir verzeichnen, daß das Interesse an Videotechnik unter den Meteorbeobachtern nicht zuletzt durch unsere Aktivitäten stark zugenommen hat, wobei dieser Beobachtungsmethode eine große Zukunft vorhergesagt wird.

Was benötige ich zu einem eigenen Videosystem?

Im einfachsten Fall kommt man zur Meteorbeobachtung mit einem Bildverstärker der ersten Generation, einem Fotoobjektiv und einem Camcorder aus. Das Objektiv wird an der Eingangsseite des Bildverstärkers befestigt und bildet den Himmel auf die lichtempfindliche Photokathode ab. Das Bild wird verstärkt und am anderen Ende auf einem kleinen Leuchtschirm dargestellt. Den im Makromodus betriebenen Camcorder bringt man so dicht wie möglich an den Leuchtschirm heran, wobei etwa vorhandene Zusatzoptiken am Bildverstärker entfernt werden müssen. Wichtig ist die Fähigkeit der verwendeten Kamera, die aktuelle Uhrzeit in das Videobild einzublenden, weil damit auf Anhieb alle Probleme der Zeitbestimmung gelöst sind. Abbildung 1 zeigt den Aufbau des beschriebenen Videosystems an Hand einer Prinzipdarstellung unserer MOVIE.


Abb.1: Schematischer Aufbau eines einfachen Videosystems zur Meteorbeobachtung. Ein Bildverstärker steht im Zentrum der Anordnung. An seinem vorderen Ende ist ein Fotoobjektiv montiert, der Leuchtschirm am hinteren Ende wird von einem Camcorder abgefilmt.

[Abbildung 1]


Die Abbildungen 2 und 3 entstanden bei unserer Perseidenexpedition 1993 in den Schwarzwald. Sie zeigen sowohl unsere 'Beobachtungsstation' als Ganzes und als auch die verwendete Videotechnik im Detail.
Abb2.: Unsere 'Beobachtungsstation' im Schwarzwald im August 1993. Neben dem Videosystem betreiben wir in der Regel einen PC zur Unterstützung der visuellen Meteorbeobachtung. Der Kofferraum des Fahrzeuges ist daher voll ausgelastet.

[Abbildung 2]

Abb.3: Nahaufnahme unseres Videosystems MOVIE. Man erkennt neben der Objektivheizung die 3 wesentlichen Komponenten aus Abb.1, die an einer gemeinsamen Halterung befestigt sind und auf einer Montierung sitzen.

[Abbildung 3]

Von dieser allgemeinen Grundstruktur abgesehen, können einzelne Systeme natürlich Unterschiede aufweisen. So ist bei professionelleren Anlagen die Videokamera von vorn herein fest mit dem Bildverstärker verbunden, wodurch der Lichtverlust zwischen beiden Teilen minimiert wird. Ein weiterer Vorteil dieser Lösung ist, daß man sich um die Befestigung der Einzelteile keine Gedanken machen muß. Das eigentliche Problem liegt aber ganz woanders: Am schwierigsten ist die Beschaffung eines passenden Bildverstärkers, da nicht alle Geräte zur Meteorbeobachtung geeignet sind.
Wie verschiedene Tests gezeigt haben, sollte die Lichtverstärkung deutlich über 10.000 liegen und der Leuchtschirm nicht weniger als 20 mm Durchmesser haben. Einstufige Bildverstärker der ersten Generation, wie sie z.B. in Nachtsichtgeräten der Armee vorkommen, weisen häufig nur Lichtverstärkungen um 100 auf und sind damit nicht verwendbar. Meistens haben erst dreistufige Bildverstärker die genannte Mindestleistung, was sich natürlich im Preis dieser Geräte niederschlägt. Unter 3.000 DM ist nach unseren bisherigen Erfahrungen kaum ein zur Meteorbeobachtung geeigneter Bildverstärker zu erhalten. Wer noch mehr Geld investieren möchte, dem seien Bildverstärker der zweiten oder dritten Generation, sogenannte 'micro channel plates' (MCP), empfohlen. Sie verbinden eine sehr hohe Lichtverstärkung mit minimalem Eigenrauschen und, wenn es sich um Nahfokusgerät handelt, mit minimaler Verzeichnung des Gesichtsfeldes. Schließlich sollten auch professionelle integrierte Kamerasysteme erwähnt werden. Hier kann man sich die einzelnen Komponenten (Photokathode, Leuchtschirm, CCD-Chip) quasi im Baukastenprinzip zusammenstellen und damit beste Parameter für die Meteorbeobachtung (spektrale Empfindlichkeit, Lichtverstärkung) erzielen. Leider ist eine solche Kamera weit außerhalb der finanziellen Möglichkeiten eines normalen Amateurs angesiedelt - mehrere zehntausend Mark muß man dafür im Moment noch berappen.
In unserem Fall war glücklicher Weise von Anfang an ein dreistufiger Bildverstärker der ersten Generation mit einer Bildverstärkung > 60.000 und einem Bildschirmdurchmesser von 25 mm an der Archenhold-Sternwarte verfügbar. Als abbildende Optik verwenden wir im allgemeinen ein 2,8/20mm Weitwinkelobjektiv, als Kamera dient ein handelsüblicher Camcorder. Zur Befestigung aller Einzelteile wurde uns in der Sternwarte eine Aluminiumhalterung gebaut, die neben Fassungen für die einzelnen Systemkomponenten einen Stutzen für eine Montierung besitzt. Die genannten Technik ermöglicht es, ein Gesichtsfeld von 60 Durchmesser aufzuzeichnen und dabei noch Meteore bis zur 5. und Sterne schwächer als 6.Größenklasse zu erfassen. MOVIE ist also fast so leistungsfähig wie ein normaler visueller Beobachter! Nimmt man anstatt der Weitwinkeloptik ein Normal- oder Teleobjektiv, gelang man mühelos in die Regionen teleskopischer Meteorbeobachtung mit Grenzgrößen um 9 mag bei einem Gesichtsfeld von 10 bis 20 Grad Durchmesser.
Im Vergleich zu anderen Beobachtungsmethoden vereinigt die Videobeobachtung mehrere Vorteile auf sich. Sie ist im Gegensatz zum visuellen Beobachter völlig frei von subjektiven Einflüssen und erlaubt die Bestimmung von Meteorkoordinaten mit hoher Präzision und zeitlicher Auflösung. Die Videobeobachtung erlaubt die exakte Berechnung der Meteorgeschwindigkeit und eine fehlerfreie Stromzuordnung von Meteoren. Im Gegensatz zur Meteorfofografie ist sie nicht nur auf Feuerkugeln beschränkt, sondern läßt auf Grund der enormen Zahl an registrierbaren Meteoren sogar die Berechnung von Stromraten zu. Setzt man zwei Videosysteme gleichzeitig ein, lassen sich Meteorparallaxen in einem Umfang bestimmen, von der jeder Meteorfotograf nur träumen kann. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, daß ein Videosystem wie unsere MOVIE für mehrere Stunden völlig autonom arbeitet und somit parallel zur visuellen Beobachtung betrieben werden kann. Der einzige Wermutstropfen ist neben den hohen Anschaffungskosten die Abhängigkeit vom elektrischen Strom, da sowohl Bildverstärker und Camcorder als auch ein möglicher Weise parallel betriebener Videorecorder mit Monitor und die Montierung ihren Preis fordern. Bei Verwendung eines Stromgenerator steht jedoch auch dieses Problem nicht der flexiblen Auswahl eines Beobachtungsplatzes im Wege.
Um die Leistungsstärke von Videosystemen noch einmal zu verdeutlichen, seien abschließend ein paar Fakten aus unserer bisherigen Beobachtungstätigkeit genannt. In einer äußerst 'durchschnittlichen' Nacht ohne Aktivität größerer Ströme gelang uns Ende Oktober 1992 zum ersten Mal die Aufzeichnung von über 20 Sternschnuppen auf Videobändern. Zu den Quadrantiden 1993 konnten wir in wenigen Stunden sogar über 60 Meteore aufzeichnen, obwohl vom nahen Strommaximum kaum etwas zu spüren war. Unseren größten Erfolg verbuchten wir schließlich zweifelsohne während der letztjährigen Perseiden: In der Nacht vom 11. zum 12. August 1993 registrierte MOVIE während der 7 Einsatzstunden im Schwarzwald weit über 300 Sternschnuppen (darunter 2 Feuerkugeln) und stand damit den visuellen Beobachtern kaum nach. Auch in diesem Jahr konnten zu den Perseiden bei weit schlechteren Bedingungen 200 Meteore im Laufe von 10 Stunden effektiver Beobachtungszeit erfaßt werden.
Videobeobachtungen verbinden auf beeindruckende Weise die Vorteile von visueller und fotografischer Meteorbeobachtung und ermöglichen Untersuchungen an Meteoren in einem Umfang, der einen immer wieder verblüffen läßt.

Auswertung der Videobänder

Bis jetzt wurde nur die nötige Videotechnik zur Aufzeichnung von Meteoren beschrieben, die an sich keine großen Hindernisse birgt. Hat man erst einmal alle Komponenten eines Videosystems zusammen, kann man nach Herzenslust Meteore aufzeichnen und faszinierende Videos erstellen. Weitaus komplizierter wird es jedoch, wenn man erst einmal viele Stunden Videoaufzeichungen des Himmel mit mehr oder weniger vielen Meteoren gewonnen hat und vor der Frage steht: Wie geht es weiter?
Im einfachsten Fall kann man sich Videorecorder und Fernseher nehmen und auf den Bändern visuell nach Meteoren Ausschau halten. Man notiert sich zu jeder gefundenen Sternschnuppe die exakte Zeit, schätzt die Helligkeit ein und nimmt die Stromzuordnung vor. Diese Arbeit ist zwar sehr langwierig, im Gegensatz zur normalen visuellen Beobachtung kann man jedoch unsichere Ereignisse durch einfaches Replay am Videorecorder ausschließen. Außerdem ist es gerade im Winter nicht unwichtig, ob man bei Minusgraden nachts in der Kälte liegt oder sich tagsüber gemütlich in der warmen Stube aufhält und Meteore 'beobachtet'. Auf ähnlich simple Art lassen sich auch die Meteorkoordinaten genähert bestimmen. Man schaltet den Videorecorder dazu bei jeder gefundenen Sternschnuppe auf Standbild und überträgt die Position von Hand in eine gnomonische Sternkarte.
Der eigentliche Vorteil der Videotechnik kommt jedoch erst bei computergestützter Auswertung der Videobänder zu tragen. Man kann dem Rechner zwei unabhängige Aufgabenkomplexe übertragen: die automatische Suche von Meteoren auf den Videobändern und die Digitalisierung und Parameterbestimmung der gefundenen Meteore.

Computergestützte Meteorsuche

Im Frühjahr 1993 begannen wir uns mit der automatischen Meteorsuche zu beschäftigen. Ein grundlegendes Prinzip der Suche war schnell gefunden, die Probleme steckten dann jedoch im Detail.
Zur computergestützten Meteorsuche benötigt man einen genügend schnellen PC, wobei nach den bisherigen Erfahrungen Rechner mit wenigstens 66 MHz Taktrate erforderlich sind. Der Computer muß mit einem Framegrabber ausgestattet sein, einer Zusatzkarte also, die zur Digitalisierung von Videoaufnahmen dient. Bei der Suche digitalisiert der Rechner in Echtzeit bis zu 10 Videobilder pro Sekunde und überprüft, ob im aktuellen Videobild ein helles Objekt existiert, daß im jeweils vorherigen Bild noch nicht vorhanden war. Dazu berechnet er lediglich die Differenz beider Bilder und hält nach verbliebenen Lichtpunkten Ausschau. Dieser einfache Algorithmus sorgt dafür, daß alle unbeweglichen Objekte wie Sterne und Planeten ignoriert werden, da sie von Einzelbild zu Einzelbild keine Veränderungen aufweisen. Auch Satelliten und Flugzeuge bewegen sich innerhalb von Sekundenbruchteilen nur so wenig im Gesichtsfeld, daß sie praktisch bei der Differenzbildung verschwinden. Anders ist das bei Meteoren: Sie sind schnell genug, um zwischen zwei aufeinanderfolgenden Bildern deutlich ihre Position zu verändern. Der Computer kann sie automatisch registrieren und speichert zum jeweils gefundenen Ereignis die aktuelle Uhrzeit ab.
Das Problem bei dieser Methode ist dem Rauschverhalten unseres Bildverstärkers geschuldet. Bei Verstärkern der ersten Generation tritt im Zentrum des Gesichtsfeldes ein Elektronenrauschen auf, welches sich ständig in Form von hellen, punktförmigen Lichtblitzen bemerkbar macht. Diese zeitlich sehr kurzen Lichtpunkte erreichen bei großer Lichtverstärkung Helligkeiten von Sternen der 2. Größenklasse und lassen das Bildzentrum deutlich flimmern. Die visuelle Sichtung der Bänder wird vom Rauschen nur gering beeinträchtigt, da man die laufende Sequenz der Videobilder betrachtet. Auf einem einzelnen Videobild ist die Unterscheidung zwischen Meteor und Lichtblitz jedoch sowohl für den Menschen als auch für den Computer fast unmöglich.
Um das Problem zu beheben, haben wir eine Vielzahl von zusätzlichen Raffinessen und Tricks in unser Suchprogramm eingebaut. So wird von jedem Differenzbild ein dynamischer Rauschhintergrund subtrahiert und die Suche auf längliche Objekte konzentriert. Damit konnte die Empfindlichkeit für schwache Meteore zwar weiter gesteigert werden, trotzdem ist das Problem noch lange nicht befriedigend gelöst. In der aktuellen Version digitalisiert das Programm auf einem 66MHz-486er in zwei Durchläufen jeweils 8 halbe Bilder pro Sekunde und wertet sie in Echtzeit aus. Nach der beschriebenen Differenzbildung und mehreren Zwischenschritten erfolgt die Suche nach verbliebenen Objekten, wobei im Mittel alle Meteore bis zur ersten Größenklasse automatisch erkannt werden. Das Programm könnte zwar auch schwächere Sternschnuppen detektieren, die Zahl der Fehlidentifizierungen auf Grund des Elektronenrauschens steigt dann jedoch schlagartig an.
Da unsere MOVIE Meteore bis zur 5. Größenklasse erfassen kann, würde uns bei Nutzung des Programms in seiner derzeitigen Form der weitaus größte Teil der Ereignisse verloren gehen. Aus diesem Grunde wurden die Videobänder bisher visuell gesichtet und der Computer nur zur Auswertung der gefundenen Meteore eingesetzt. Wir hoffen jedoch, daß bessere Aufnahmetechnik mit einem geringeren Rauschpegel (micro channel plates) und ein weiter verbesserter Suchalgorithmus in Zukunft dazu führen werden, daß auch Sternschnuppen der dritten und vierten Größenklasse automatisch registriert werden. Bessere Ergebnisse sind nicht nötig, da schwächere Meteore zwar noch in einer laufenden Bildsequenz erkannt werden können, auf Videoeinzelbildern jedoch völlig im Rauschen untergehen und damit generell nicht auswertbar sind.
Es ist sicherlich erwähnenswert, daß uns auch von den wenigen anderen internationalen Videobeobachtergruppen noch keine automatischen Meteorsuchsysteme bekannt sind.

Computergestützte Meteorauswertung

Die Auswertung der gefundenen Meteore mit Hilfe von Computern ist ein Problem, zu dem es schon seit einiger Zeit praktikable Lösungen gibt ([1],[2]). Die Qualität der Auswertesoftware wird dabei wesentlich durch zwei Parameter bestimmt. Wichtig ist sowohl die erreichte Genauigkeit bei den Meteorparametern als auch die Effektivität und Geschwindigkeit der Analyse. Während der erste Punkt sicherlich sofort einleuchtet, ist der zweite nicht so offenkundig. Man muß hierbei bedenken, daß wir es im Gegensatz zur Meteorfotografie nicht mit einzelnen Meteoraufzeichnungen, sondern mit hunderten Videometeoren zu tun haben. Wenn also alle erfaßten Meteore ausgewertet werden sollen, darf die Analyse einer einzelnen Sternschnuppe nur wenige Minuten in Anspruch nehmen.
Die Algorithmen der Auswertung von Videometeoren gleichen weitestgehend bekannten Verfahren aus der Astrometrie und Photometrie. Als Grundlage liegt in diesem Fall jedoch nicht ein einzelnes Foto sondern eine ganze Serie von Einzelbildern vor, die zu jedem Meteor digitalisiert werden muß. Abbildung 4 stellt anschaulich ein Videoeinzelbild dem fertig bearbeiteten Gesamtbild eines Meteors gegenüber. Man erkennt, daß vor der eigentlichen Parameterbestimmung verschiedene Bildverarbeitungsfunktionen wie Kontraststeigerung und Hintergrundsubtraktion nötig sind, um die Bildqualität zu erhöhen.


Abb.4: Vergleich zwischen einem einzelnen Videoteilbild und dem fertig bearbeiteten Gesamtbild eines Meteors. Verschiedene Schritte wie Einzelbildüberlagerung, Hintergrundsubtraktion, Kontrastverstärkung und Koordinatentransformation sind nötig, um aus verrauschten Teilbildern ein rausch- und verzeichnungsfreies Gesamtbild zu erzeugen.

[Abbildung 4a]

[Abbildung 4b]


Zur Berechnung der Meteorkoordinaten wird die lineare Position der Sternschnuppe und einer Zahl heller Sterne in den Bildern benötigt. Die Lage der Sterne kann vom Rechner völlig autonom bestimmt werden. Er addiert zunächst alle Einzelbilder und subtrahiert die Hintergrundhelligkeit. Im Ergebnisbild sucht er dann nach hellen Objekten. Deren lineare Position läßt sich theoretisch genauer als ein Pixel bestimmen, indem der Schwerpunkt des mehrere Bildpunkte umfassenden Sternscheibchens berechnet wird. Für die Position des Meteors in den einzelnen Bildern läßt sich dieses Verfahren jedoch nicht anwenden, da Sternschnuppen meist länglich sind und häufig Schweife oder Nachleuchten zeigen. Man positioniert daher manuell ein Fadenkreuz auf das Zentrum des vergrößerten Meteorbildes und erreicht so Genauigkeiten von etwa einem Pixel.
Zur Umrechnung von linearen Bildpositionen in äquatoriale Koordinaten müssen nun wenigstens 3 der gefundenen Objekte als Referenzsterne identifiziert werden. Das geschieht in unserem Programm sehr effektiv, indem der Nutzer einzelne vom Computer gefundene Objekte hellen Sternen in einer vorbereiteten Liste zuordnet. Der Rechner ermittelt daraufhin provisorisch die Koordinaten und Helligkeit der anderen Sterne, identifiziert sie automatisch unter Nutzung des PPM-Sternkataloges, und berechnet schließlich über die Plattenkonstanten die äquatorialen Koordinaten des Meteors. Um größere Fehler durch die starke Verzeichnung unseres Bildverstärkers zu vermeiden, werden alle linearen Sternpositionen zuvor noch mit einer Korrekturfunktion bearbeitet. Diese Funktion haben wir ein Mal für die Standardkonfiguration unseres Systems an Hand von Aufnahmen einer optischen Testwand ermittelt und verwenden sie nun bei allen Koordiantenberechnungen. Es handelt sich um eine Exponentialfunktion (Abbildung 5) ähnlich den Verzeichnungsfunktionen von Fisheye-Objektiven, jedoch mit umgekehrtem Vorzeichen.


Abb.5: Verzeichnungsfunktion unseres optischen Systems, die an Hand von Testaufnahmen ermittelt wurde: y=f(x)=1+(170*exp(x)-1)/481

[Abbildung 5]


Die Meteorhelligkeit kann leicht über die Flächenhelligkeit des Meteors und der Referenzsterne ermittelt werden. Man bildet dazu den Logarithmus über der Helligkeitssumme aller Pixel eines Objektes und kalibriert die Skala an den bekannten Helligkeiten der Referenzsterne. Hat man zuvor die stark ungleichmäßige Hintergrundhelligkeit im Gesichtsfeld subtrahiert, dann funktioniert das Verfahren sowohl im Zentrum als auch am Gesichtsfeldrand ohne größere Fehler. Das ist erstaunlich, da der Bildverstärker in der Bildmitte viel empfindlicher ist als in den äußeren Regionen. Lediglich sehr helle und dunkle Meteore weisen größere Helligkeitsfehler auf, was im 'Ausbrennen' des Bildes bzw. im schlechten Signal-zu-Rausch-Verhältnis begründet liegt.
Die Zeit des Meteors kann sekundengenau bestimmt werden, indem man sie einfach von der eingeblendeten Uhr des Camcorders abliest. Auch die Dauer der Erscheinung bereitet keine größeren Probleme. Bei der in Europa gebräuchlichen Videonorm werden 50 Videohalbbilder pro Sekunde verwendet, so daß man lediglich die Einzelbilder zählen muß. Die Meteorgeschwindigkeit folgt direkt aus den ermittelten Koordinaten und der Meteordauer. Schließlich kann man unter Verwendung spezieller Bildverarbeitungsroutinen aus den digitalisierten Videoeinzelbildern ein komplettes rauschfreies Gesamtbild des Meteors generieren. Beseitigt man in diesem Bild mit Hilfe der bereits erwähnten Exponentialfunktion die Verzeichnung und überlagert verschiedene Meteorbilder einer Nacht, lassen sich auf einfache Weise eindrucksvolle Aktivitätsbilder einzelner Meteorströme erzeugen (siehe Abbildung 6).


Abb.6: Helle Perseiden im Sommerdreieck, aufgenommen von MOVIE am 09/10., 12/13. und 13/14. August 1994 während unserer astronomischen Sommerfahrt in Krampfer.

[Abbildung 6]


Alle genannten Algorithmen wurden von uns in einem Programmpaket implementiert, daß seit kurzem die exakte Auswertung von Videometeoren ermöglicht. Bei den äquatorialen Meteorkoordinaten werden Genauigkeiten unter 10' erreicht, was im digitalisierten Videobild etwa einem Pixel entspricht. Die Meteorhelligkeit ist genauer als eine halbe Größenklasse bestimmbar, und die Geschwindigkeitswerte weisen nur bei sehr kurzen Meteoren größere Fehler als 2 pro Sekunde auf. Die Software besteht zu einem großen Teil aus optimierten Assemblerroutinen und löst viele Probleme automatisch ohne zusätzliche Eingaben durch den Bediener. Daher dauert die komplette Bearbeitung eines einzelnen Meteors von der Digitalisierung über die Parameterberechnung und Bildgenerierung bis hin zur Speicherung der Daten nur 5 Minuten, was im Vergleich zu anderen Programmlösungen einen ausgezeichneten Wert darstellt. In Zukunft werden weitere Verbesserungen an der Software vorgenommen, um die Genauigkeit weiter zu erhöhen und das ganze Paket hardwareunabhängig zu gestalten. Es wird dann auch anderen Beobachtern zur Verfügung stehen. Die Grenzen für Genauigkeits- und Effektivitätssteigerungen sind bereits jetzt absehbar, und auch in Zukunft wird die Auswertung von Videobändern mit hoher Meteoraktivität trotz Computerunterstützung viele Stunden Arbeit in Anspruch nehmen.

Im nächsten Teil des Beitrages wird gezeigt, welche vielfältigen Untersuchungen an Meteoren sich der Parameterbestimmung anschließen können.


Sirko Molau; letzte Änderung: 18.Juli 1996