aus: "Sterne und Weltraum" 38-? (1999)

1998 - das Jahr der Meteorschauer

Ein Rückblick vom AKM e.V. / VdS FG Meteore auf das Meteorjahr 1998


Selten ist ein Jahr so sehnsüchtig von den Meteorbeobachtern erwartet worden. Die Vorbereitungen der großen Beobachtungsexpedition im November hatten bereits Jahre zuvor begonnen. Schließlich stand ein astronomisches Ereignis der besonderen Art, ein möglicher Meteorsturm der Leoniden, an. Wie der folgende Bericht zeigen wird, trat der Meteorsturm nicht auf - trotzdem hatte das Jahr einige Überraschungen parat und wurde zu einem der erfolgreichsten in der Geschichte der Meteorbeobachtung überhaupt.

Winter und Frühjahr

Bekanntlich beginnt das Meteorjahr sehr gemächlich: Nach einem kurzen Paukenschlag am 3. Januar, wenn die Quadrantiden ihr Maximum erreichen, folgt eine lange Periode minimaler Meteoraktivität. Hinzu kommen unwirtliche Temperaturen, die den Beobachtungseifer schnell erlahmen lassen. Nicht jedoch 1998: In diesem Jahr gab es Beobachter, die sich möglichst kalte Januartage wünschten! Der Grund dafür war die geplante Leonidenexpedition. In Erwartung von Temperaturen jenseits der -20°Grad-Marke hatten sich einige Teilnehmer bereits vorsorglich entsprechende Thermokleidung zugelegt, die Sie zu dieser Gelegenheit testen wollten. Während eines Vorbereitungstreffens bei Potsdam wurden Erfahrungen ausgetauscht und die Vorteile und Nachteile der einzelnen Fabrikate diskutiert. Zu einer echten Kälteprobe kam es jedoch nicht, weil die Temperatur sowohl Ende Dezember als auch zu den Quadrantiden im Januar 'nur' um den Gefrierpunkt schwankte. Das Maximum des Meteorstroms, dessen Radiant sich im nödlichen Teil des Sternbildes Bärenhüter befindet (siehe Kasten 1), war für die späten Abendstunden des 3. Januar vorhergesagt. In der Nacht vom 3. zum 4. Januar waren die Beobachtungsbedingungen durchwachsen - nur teilweise klarte der Himmel auf. Die höchste Aktivität mit stündlichen Zenitraten um 130 konnte von japanischen Beobachtern vermeldet werden. In Deutschland war lediglich der steil abfallende Ast der Aktivitätskurve mit Raten zwischen 60 und 30 zu sehen.


[Abbildung 1]

Abbildung 1: Die Sternschnuppen waren nicht nur zu den Leoniden in den Medien! Am 25. Januar 1998 leuchtete um 20:14 MEZ eine Feuerkugel von -8 mag über dem Südosten unseres Landes auf. Was zunächst wie ein 'Routineereignis' aussah, entpuppte sich nach Vermessung der Aufnahmen verschiedener FK-Überwachungsstationen als besonders interessantes Ereignis: Der Meteoroid war nahezu senkrecht in die Atmosphäre eingedrungen, die sichtbare Bahn der Feuerkugel endete nur 30 km über der Erdoberfläche. Ein Meteoritenfall südlich von Hoyerswerda war zwar unwahrscheinlich, aber nicht ganz ausgeschlossen. Auch wenn die von H. Seifert vor Ort durchgeführten Nachforschungen keine konkreten Anhaltspunkte für einen Fall ergaben, nahm die lokale Presse regen Anteil am Geschehen...

Die folgenden Monate waren die Zeit der 'Meteorzeichner'. Wie bereits im letzten Jahresbericht [1] erläutert, zeichnet man die Sternschnuppen bei geringer Aktivität am besten in spezielle, gnomonisch projizierte Sternkarten ein (plotting), um eine verläßliche Stromzuordnung zu ermöglichen. Während man bei hoher Aktivität die Meteore lediglich zählt und 'online' einem Meteorstrom zuordnet (counting), kann man bei der 'offline' Auswertung von Karteneinträgen viel präzisere Kriterien ansetzen. Ein Meteor wird nur dann einem Meteorstrom zugeordnet, wenn es folgende vier Bedingungen erfüllt:

  1. Der Meteorstrom muß im Beobachtungszeitraum aktiv sein. Auch wenn alle anderen Zuordnungskriterien passen sollten, kann man im Januar einfach keine Perseiden beobachten!
  2. Die Rückverlängerung der scheinbaren Bahn muß innerhalb der Meßgenauigkeit den Radianten des Meteorstroms schneiden. Der visuelle Durchmesser eines Meteorstromradianten wird dabei für die meisten Ströme mit etwa 10° angenommen. Zwar ist der wahre Durchmesser vieler Radianten deutlich kleiner (etwa 1°), jedoch können auf diese Art Fehler der Karteneintragungen kompensiert werden.
  3. Ein weiterer Hinweis zur Klassifikation von Sternschnuppen kommt aus der Länge ihrer Bahn. Aus geometrischen Gründen kann ein Strommeteor höchstens halb so lang sein wie der scheinbare Abstand seines Anfangspunktes vom Radianten. Mit anderen Worten: Wenn ein Meteor Mitte August von Cassiopeia zu Deneb fliegt, dann kann es sich wieder nicht um einen Perseiden handeln, selbst wenn die Rückverlängerung der Bahn den Radianten schneiden sollte. Bei so geringem Radiantenabstand müßte die Meteorspur deutlich kürzer sein. Ausnahmen gibt es lediglich bei sehr tief stehenden Radianten und bei Feuerkugeln, die naturgemäß tiefer in die Atmosphäre eindringen und längere Spuren produzieren.
  4. Das letzte, aber keineswegs unwichtigste Kriterium ist schließlich die Winkelgeschwindigkeit von Meteoren, die von verschiedenen Faktoren abhängt (geozentrische Geschwindigkeit des Stromes, Höhe der Meteorspur über dem Horizont, Entfernung des Meteors vom Radianten). Eine einfache Entscheidungsregel wie bei der Länge der Meteorspur gibt es nicht. Zudem ist die Schätzung der Meteorgeschwindigkeit am Anfang etwas schwierig. Mit etwas Beobachtungspraxis wird man jedoch schnell zwischen langsamen Meteoren wie z.B. den Tauriden und schnellen wie den Perseiden oder Leoniden unterscheiden können. Geübte Beobachter erreichen immerhin Genauigkeiten von 2°/s, so daß mit Hilfe entsprechender Umrechnungstabellen (z.B. in [2]) schnell geprüft werden kann, ob ein Meteor zu einem Meteorstrom mit bekannter geozentrischer Geschwindigkeit gehören kann oder nicht.

Meteorsoftware und das Frühjahrsseminar

Wie man sieht, ist die Auswertung von Meteorkarten und die exakte Stromzuordnung nicht ganz einfach. Das heißt jedoch nicht, daß die Vermessung und Klassifikation in mühevoller Handarbeit erfolgen muß. T. Rattei und J. Richter vom Astroclub Radebeul entwickeln und verbessern seit Jahren das Computerprogramm VISDAT. Mit Hilfe eines grafischen Tabletts vermißt man zunächst die Meteorbahnen. Anhand weiterer Daten, die per Tastatur eingegeben werden, entscheidet die Software dann die Stromzugehörigkeit und speichert die Beobachtung in einer Datenbank ab. Mit ihr kann später wiederum das Programm RADIANT von R. Arlt gefüttert werden, um nach bekannten oder unbekannten Strömen zu suchen. Eine praktische Anwendung gab es 1998 zum Beispiel im Fall der Juni-Bootiden, von denen später noch die Rede sein wird.

Die aktuelle Version der Software und ihre Anwendung wurde von den Radebeuler Meteorguckern auf dem traditionellen Frühjahrsseminar des AKM vorgestellt, das uns Mitte März 1998 in die Volkssternwarte Hof führte. Ein weiteres Programm erregte dort ebenfalls das Interesse der Sternfreunde - die Computersimulation eines Meteorsturms. H. Lüthen und S. Molau waren im Vorfeld der Leoniden der Frage nachgegangen, ob visuelle Beobachter bei einem Meteorsturm überhaupt sinnvolle Daten liefern können. Dazu wurden verschiedene Programme geschrieben, an denen sich die Beobachter testen konnten. Das Ergebnis waren viele Ahhs und Ohhs der Testpersonen, die von der realistischen Simulation beeindruckt waren (Abbildung 2). Außerdem stellten wir fest, daß die Beobachter selbst bei stärksten Meteorstürmen wie den '66er Leoniden noch brauchbare Schätzungen der Aktivität lieferten.


[Abbildung 2]

Abbildung 2: Der Traum jedes Meteorbeobachters - ein Meteorsturm! Zwar konnten wir im Jahr 1998 kein derartiges Himmelsschauspiel beobachten, jedoch ermöglichte eine im AKM entwickelte Software die realistische Simulation eines derartigen Ereignisses auf dem PC.

Übrigens kann man sich sowohl VISDAT und RADIANT als auch die Meteorsimulation METSIM kostenlos von der Homepage der International Meteor Organization (IMO) unter http://www.imo.net herunterladen.

Weitere Schwerpunkte des Seminars bildeten die Untersuchungen zu verschiedenen Meteorströmen, die Planung der Leonidenexpedition und natürlich der ganze Komplex der Haloerscheinungen und leuchtenden Nachtwolken. Nicht zuletzt dank der tatkräftigen organisatorischen Unterstützung durch die Hofer Sternfreunde um K. Hopf wurde das Seminar zum gewohnten Höhepunkt im Vereinsleben des AKM.

Die Juni-Bootiden

Aus den Frühlingsmonaten gibt es kaum Nennenswertes zu berichten. So waren zum Beispiel nur wenige Beobachtungen zum Maximum der Lyriden möglich. Immerhin konnten in der Nachmaximumsnacht die ersten Videometeorspektren gewonnen werden.
Ebenfalls in dieser Zeit knüpfte der AKM Kontakte zum Leibnitz-Institut für Atmosphärenphysik (IAP) in Kühlungsborn. Am IAP werden mit Hilfe von Atmosphärenlasern unter anderem leuchtende Nachtwolken und Meteorspuren erforscht, so daß eine breite Überlappung mit unseren Beobachtungen besteht. Neben dem Datenaustausch haben wir eine vielfältige Zusammenarbeit geplant, die auf dem Gebiet der Videometeorbeobachtung bereits erste Erfolge verzeichnet hat.

Im Juni herrschte die Ruhe vor dem sommerlichen Hoch an Meteorströmen - auf Grund der kurzen Nächte sind ohnehin kaum interessante Beobachtungen möglich. In diesem Jahr überraschte uns jedoch in der Nacht vom 27. zum 28. Juni ein Strom, den wir nur aus Berichten vom Anfang des Jahrhunderts kannten (Kasten 2). Die Juni-Bootiden meldeten sich unter den aktiven Metorströmen zurück und verblüfften mit Zenitraten bis zu 100 [3]. Beeindruckend war die lange Dauer des Aktivitätsausbruchs. Immerhin hielt sich die Rate über 12 Stunden lang auf hohem Niveau. Das Maximum selbst in den Nachmittagstunden des 27. Juni ist leider kaum durch Beobachtungen abgedeckt (Abbildung 3).


[Abbildung 3]

Abbildung 3: Aktivitätsgraph der Juni-Bootiden (aus [4]).

Während der Hauptteil der Daten von aktiven Meteorbeobachtern in Japan, Bulgarien, Polen und Italien zusamengetragen wurde, gab es aus Deutschland lediglich einige Berichte zufälliger Beobachter. Belohnt wurden in jedem Fall diejenigen, die auch in diesen scheinbar 'aussichtslosen' Nächten auf Lauer lagen und die Meteoraktivität kontinuierlich überwachten. Wer weiß denn schon, wieviele kurzzeitige Ausbrüche wir verpassen, weil wir sie nicht erwarten?
Belohnt wurden auch die Beobachter, die in den Vorjahren fleißig Meteore in Karten eingetragen hatten. Anhand dieser Beobachtungen und mit Hilfe der RADIANT-Software konnte H. Seifert später zeigen, das einzelne Juni-Bootiden auch 1995 und 1997 gesehen wurden. Die Rate lag damals jedoch bei etwa einem Meteor pro Stunde, so daß sie sich nicht signifikant vom sporadischen Hintergrund abhob.

Sommer

Das Wetter waren den Meteorguckern im Juli und August nur selten freundlich gesonnen. Wie schon in den Vorjahren wurden einerseits die komplexen Radiantenstrukturen im Aquarius untersucht, anderseits waren die Perseiden das Hauptziel von Beobachtungslagern im brandenburgischen Ketzür und in der Slowakei. Dieser Strom ist besonders für Anfänger geeignet, weil er über längere Zeit hohe Raten bei angenehmen äußeren Bedingungen mit sich bringt. 1998 fielen die Perseiden jedoch zu großen Teilen den Wolken und dem fast vollen Mond zum Opfer, nur in wenigen Stunden vor dem Maximum konnte die Aktivität verfolgt werden. Das 'reguläre' Maximum fiel in die Nachtstunden der europäischen Beobachter. Die Raten erreichten am 12. August um 22 Uhr UT ein Maximum von etwa ZHR=80. Es wurde noch immer deutlich von dem seit 1989 beobachteten 'neuen' Maximum überboten, das 6 Stunden früher mit einer Zenitrate von über 130 aufwartete.

Gleich nach den Perseiden machten sich viele Meteorgucker auf den Weg nach Stara Lesna in der Slowakei. Dort fand zunächst die Meteoroids-Konferenz statt, die weltweit einzige professionelle astronomische Tagung, bei der die Meteore und ihr Ursprung im Mittelpunkt stehen. Direkt im Anschluß fand am gleichen Ort die von den slowakischen Meteorbeobachtern ausgerichtete International Meteor Conference der IMO statt. Die Nähe der Tagungen ermöglichte wie schon 1992 einen besonders intensiven Kontakt und Erfahrungsaustausch zwischen den Profis und Amateuren (Abbildung 4). Während die aktivsten Amateurbeobachter mit eigenen Postern und Vorträgen auf der Profitagung vertreten waren, nahmen die führenden Mitglieder der IAU-Kommission 22 an Diskussionen und Vorträgen auf der Amateurtagung teil.


[Abbildung 4]

Abbildung 4: Auf der Meteoroids-Tagung in Stara Lesna, August 1998, trafen sich Profis und Amateure, um über ihr gemeinsames Arbeitsgebiet zu konferieren.

Rechtzeitig zu den beiden Konferenzen konnte von Seiten des AKM ein wichtiger Fortschritt bei der Videobeobachtung von Meteoren verzeichnet werden. Mit der von S. Molau entwickelten Software METREC [5] existiert nun ein Computerprogramm, mit dem Videoaufnahmen in Echtzeit vollautomatisch nach Meteoren durchsucht werden können. Die im August verfügbare erste Version konnte auf einem Testband mit einer Erkennungsleistung von etwa 75% aufwarten (knapp 40 der insgesamt 50 vorhandenen Meteore wurden detektiert) und stand damit nur wenig der menschlichen Leistung nach. Die Software, die inzwischen in vielen Teilen modifiziert und verbessert wurde, ermöglicht die Aufarbeitung der vielen Videoaufzeichnungen der letzten Jahre. Sie bildet auch die Basis für eine vollautonome Meteorbeobachtungsstation, wie sie z.B. seit kurzem am Institut für Atmosphärenphysik im Einsatz ist - komplett entwickelt und gebaut von Mitgliedern des AKM.

Die Draconiden

Im Herbst wurde die Zeit für viele Meteorbeobachter immer kürzer, rückte doch das Maximum der Leoniden näher. Zunächst waren es jedoch die Staubteilchen des Kometen 21P/Giacobini-Zinner, die das Interesse der Meteorbeobachter auf sich zogen. Bereits zwei Mal in diesem Jahrhundert hatte der mit diesem Kometen assoziierte Meteorstrom der Draconiden für einen Meteorsturm gesorgt (Kasten 3). Die Aussichten auf einen erneuten Ausbruch 1998 waren gemischt. Zwar kam die Erde der Kometenbahn sehr nahe und kreuzte die Bahnebene innerhalb der Kometenbahn, jedoch passierte sie den Knoten fast 50 Tage vor dem Kometen, während alle bisherigen Ausbrüche nach der Kometenpassage stattfanden. Jedenfalls sollte die höchste Aktivität in die Abendstunden des 8. Oktober fallen und damit ideal von Europa aus zu sehen sein.
Die Beobachter fanden trotz vorherrschend schlechten Wetters an verschiedenen Stellen in Deutschland ein Wolkenloch und harrten gespannt der Dinge. Während die am weitesten östlich Gelegenen in der Dämmerung noch eine handvoll Draconiden erhaschen konnten, war die Aktivität bei Einbruch der Dunkelheit in den westlichen Landesteilen praktisch bei Null angekommen. Dieses Bild wurde noch in derselben Nacht per e-Mail aus Fernost bestätigt. Der zweite Ausbruch eines Meteorstroms 1998 hatte mit fantastischen Zenitraten von etwa 700 durchaus stattgefunden, jedoch fand das spitze Maximum von etwa 60 Minuten Dauer einige Stunden früher als erwartet um 13 Uhr UT statt, so daß es in Asien visuell und in Europa nur per Radar zu verfolgen war (Abbildung 5).


[Abbildung 5a]
[Abbildung 5b]

Abbildung 5: Die Draconiden - oben der Aktivitätsgraph aus weltweiten visuellen Beobachtungen (aus [6]), unten die Aufzeichnungen vom Meteorradar in Ondrejov / Tschechien (aus http://sunkl.asu.cas.cz/~borovic/draconid.htm).

Das Auftreten des Ausbruchs an sich bewies bereits, daß die Meteoroide auch vor dem Kometen in hoher Dichte vorliegen. Insofern ist der '98er Draconidenausbruch von besonderer Bedeutung, weil er wichtige Randbedingungen für die Modelle von Kometenausgasungen und die Bahnevolution kleiner Teilchen setzt.

Die Leoniden

Nach der Generalprobe durch die Draconiden stand nun also die Hauptattraktion des Jahres auf dem Programm. Was für Kometenfans Hale-Bopp und Beobachter veränderlicher Sterne eine helle Supernova ist, macht für Meteorgucker ein Ausbruch der Leoniden aus (Kasten 4). In dieser Zeitschrift ist bereits an früherer Stelle [7,8] ausführlich über unsere Expedition, ihre Vorbereitung, Durchführung und die Ergebnisse berichtet wurde, weswegen hier nur noch einmal kurz die wichtigsten Höhepunkte genannt werden sollen.

Eine 14-köpfige Gruppe hatte sich auf den Weg in die Mongolei gemacht, um bei dem zu erwartenden Schaupiel in der ersten Reihe, also auf dem richtigen Längengrad, zu sitzen. Im Expeditionsgepäck befanden sich eine Vielzahl von Fotoapparaten und sechs bildverstärkte Videosysteme, mit denen wir den Leoniden auflauern wollten.
Während sich alle auf die 'Meteorsturmkomponente' der Leoniden konzentiert hatten, die für den 17. November um 19-20 Uhr UT vorhergesagt war, stahl ihr eine äußerst attraktive 'Hintergrundkomponente' eine Nacht zuvor die Show. Bei einem extrem geringen Populationsindex von 1.2 (Kasten 5) und stündlichen Raten von mehreren hundert Meteoren war ein wahres Gewitter an Feuerkugeln zu verzeichnen. Jeder der visuellen Beobachter zählte dutzende Feuerkugeln, von denen die hellsten mühelos mit dem Vollmond konkurrierten (Abbildung 6). Die Rate war im Anstieg begriffen und erreichte in den europäischen Nachtstunden des 16/17. November ihr Maximum, wovon die in Deutschland verbliebenen Beobachter jedoch aufgrund des schlechten Wetters fast nichts mitbekamen.


[Abbildung 6]

Abbildung 6: So sieht es aus, wenn eine etwa -15 mag helle Leonidenfeuerkugel durch das Gesichtsfeld einer bildverstärkten Videokamera fliegt. Da kann man fast von Glück reden, daß der Bildverstärker nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde!

In der eigentlichen Maximumsnacht waren die Aktivität auf etwas geringerem Niveau nahezu konstant, jedoch beobachteten wir eine ganz andere Teilchenpopulation. Der Hauptteil der Meteore trat nun, ganz wie es von der Sturmkomponente erwartet wurde, in den schwächeren Helligkeitsklassen auf. Was ausblieb war der Meteorsturm selbst.
Was man vor Ort nicht bemerkte, zeigte sich später bei der Datenanalyse: Die Auswertung aller asiatischen Beobachtungen weist nahe dem Vorhersagezeitpunkt eine kurze Aktivitätsspitze von 45 Minuten Dauer auf, während der sich die Zenitrate knapp verdoppelte (Abbildung 7). Die Astronomen hatten sich also nicht um 16 Stunden verrechnet, wie später an vielen Stellen behauptet wurde, sondern lediglich die Hintergrundkomponente unterschätzt.


[Abbildung 7]

Abbildung 7: Aktivitätsgraph der Leoniden (aus [9]). Zu sehen ist sowohl die breite Hintergrundkomponente (ein Grad Sonnenlänge entspricht etwa einem Tag) als auch die spitze Sturmkomponente des Meteorstroms.

Die Leoniden brachten viele Neuigkeiten und Superlative mit sich: Zum ersten Mal konnten von uns mehrere Nachleuchtspuren (persistent trains) mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung per Video aufgezeichnet werden. Die Reise in die Mongolei war die größte jemals im AKM organisierte Expedition, und auch die technische Ausrüstung war in dieser geballten Form noch nie im Einsatz. Von professionellen Astronomen wurden unter anderem zwei Flugzeugexpeditionen durchgeführt, bei denen die Meteore aus der Luft und vom Boden in allen Wellenlängen und mit allen zur Verfügung stehenden Techniken untersucht wurden. Die von der NASA finanzierten Experimente sind die größte wissenschaftliche Untersuchung, die jemals auf dem Gebiet der Meteorastronomie stattfand.

Schließlich stellten viele Experten kurz nach den Ereignissen im November die große Ähnlichkeit zwischen den Ereignissen von 1965 und 1998 fest. Auch damals wurde eine kräftige Hintergrundkomponente mit vielen Feuerkugeln beobachtet, wonach der eigentliche Ausbruch ausblieb. Ein gutes Omen für 1999 in Anbetracht des großen Leonidensturms von 1966?

Winter

Nach so vielen Ausbrüchen waren die Maßstäbe hoch gesetzt - da hatte es selbst der stärkste jährliche Meteorstrom, die Geminiden am 13. Dezember, nicht leicht, die Beobachter zu motivieren. Zwar war die Mondphase optimal, jedoch spielte das Wetter wieder einmal nicht mit. Diesmal kamen jedoch die amerikanischen Beobachter auf ihre Kosten, an denen viele der großen Meteorereignisse der letzten Jahre vorbeigegangen waren. Das Maximum konnte dort gut verfolgt werden. Die höchste Aktivität trat mit stündlichen Raten von über 100 am 14. Dezember um 6 Uhr UT auf.


[Abbildung 8]

Abbildung 8: 1998 war auch für das Europäische Feuerkugelnetz EN ein erfolgreiches Jahr. Insgesamt konnten 67 Aufnahmen von 46 hellen Feuerkugeln gewonnen werden. Am 17./18. Dezember wurde zum Beispiel ein etwa -10 mag heller Bolide von vier Kameras des Netzes erfaßt. Dieses Bild von der Station #88 auf dem Wendelstein ist typisch für Aufnahmen der all-sky-Spiegelkameras. Die Kamera ist an drei Streben über einem Kugelspiegel befestigt, so daß sie nebem dem Himmel auch sich selbst fotografiert.

Mit den Ursiden, die in Mitteleuropa ebenfalls den Wolken zum Opfer fielen, ging eines der erfolgreichsten Jahre in der Geschichte der Meteorbeobachtung zu Ende.

Zusammenfassung

Im 'Jahr der Meteorschauer' konnten 40 Beobachter des AKM e.V. / VdS FG Meteore in 968 Stunden effektiver Beobachtungszeit 14285 Meteore verzeichnen. Die Datenausbeute ist damit etwas geringer als im Vorjahr, was im wesentlichen auf das schlechte Wetter zurückzuführen ist. Tabelle 1 zeigt die 10 aktivsten Beobachter des Jahres 1998.


Tabelle 1: Die zehn aktivsten Beobachter im AKM 1998. Teff = effektive Beobachtungszeit
Beobachter               Teff  Meteore
--------------------------------------
Sven Näther		167.29	1378
Jürgen Rendtel		119.28	2019
Sylvio Lachmann		110.91	 901
Christoph Gerber	 81.95	 358
Harald Seifert		 78.48	 786
Oliver Wusk		 53.15	 617
Thomas Schreyer		 37.34	 352
Hans-Georg Zaunick	 27.20	 273
Andrè Knöfel		 25.65	 777
Pierre Bader		 24.75	1160

Die Verteilung der Beobachtungen weicht von der anderer Jahre deulich ab (Tabelle 2). Während bisher im August mit Abstand die meisten Beobachtungen gewonnen wurden, ist 1998 - wen wundert es - der November der führende Monat.


Tabelle 2: Monatliche Verteilung der Meteorbeobachtungen 1998
Monat		 Teff	Meteore
-------------------------------
Januar		 76.85	 856
Februar		 72.69	 309
März		 59.69	 307
April		 63.49	 426
Mai		 59.55	 325
Juni		 23.52	 147
Juli		117.68	1370
August		154.29	2222
September	 67.38	 592
Oktober		 69.52	 690
November	171.32	6723
Dezember	 32.06	 318

Tabelle 3 listet die wichtigsten Meteorströme von 1999 auf. Höhepunkte werden sicherlich die Perseiden und Leoniden sein, von denen erstere unter optimalen Bedingungen unmittelbar im Anschluß an die totale Sonnenfinsternis zu beobachten sind. Sollte die Sturmkomponente der Leoniden in diesem Jahr 'erwachen', so sind die europäischen Beobachter aller Voraussicht nach auf dem richtigen Längengrad postiert. Wenn dann noch das Wetter mitspielt, erleben wir vielleicht ein Ereignis, das an Faszination mit der Sonnenfinsternis konkurrieren kann.


Tabelle 3: Wichtige Meteorströme 1999. Die Koordinaten des Radianten und die Mondphase (z-zunehmend, a-abnehmend) beziehen sich auf das Datum des Maximums. Umfangreichere Angaben gibt es im Internet unter http://www.imo.net.
  Strom		       Zeitraum		Maximum	 alpha	delta	ZHRmax	Mondphase
---------------------------------------------------------------------------------
Quadrantiden	    01. Jan - 05. Jan	 4. Jan	  230	 +49	 120	  0.9a
Lyriden		    16. Apr - 25. Apr	22. Apr	  271	 +34	  15	  0.4z
delta Aquariden S   12. Jul - 19. Jul	28. Jul	  339	 -16	  20	  1.0
Perseiden	    17. Jul - 24. Aug	13. Aug	   46	 +58	 140	  0.0z
alpha Aurigiden	    25. Aug - 05. Sep	01. Sep	   84	 +42	  10	  0.7a
Orioniden	    02. Okt - 07. Nov	21. Okt	  208	 +16	  20	  0.8z
Leoniden	    14. Nov - 21. Nov	18. Nov	  153	 +22	1000?	  0.7z
Geminiden	    07. Dez - 17. Dez	14. Dez	  112	 +33	 120	  0.3z
Ursiden		    17. Dez - 26. Dez	23. Dez	  217	 +76	  10	  1.0

Bei solchen Aussichten ist es natürlich schwer, auch für die kleinen Meteorströme zu werben. Gerade die Juni-Bootiden 1998 haben jedoch gezeigt, daß der Nachthimmel voller Überraschungen ist und Meteorströme jederzeit völlig unerwartet auftreten können!

Literatur

[1] Molau, S. und Arlt, R.: Die Meteorströme des Jahres 1997. SuW 37 (1998), 678-682.

[2] Rendtel, J., Arlt, R. und McBeath, A.: Handbook for Visual Meteor Observers. IMO, (1995), Potsdam.

[3] Rendtel, J., Arlt, R. und Molau, S.: Die Juni Bootiden: 1916, 1927, 1998. VdS-Journal 1999, 62-64.

[4] Rendtel, J., Arlt, R. und Velkov, V.: Surprising Activity of the 1998 June Bootids. WGN, Journal of the IMO 26 (1998), 165-172.

[5] Molau, S.: The Meteor Detection Software MetRec. Proceedings of the International Meteor Conference 1998.

[6] Arlt, R.: Summary of 1998 Draconid Outburst Observations. WGN, Journal of the IMO 26 (1998), 256-259.

[7] Wurzel, R.: Feuerkugelschauer über der Mongolei. SuW 38 (1999), 275-277.

[8] Fischer, D. und Rendtel, J.: Auf Leonidenjagd in der Mongolei. SuW 38 (1999), 445.

[9] Arlt, R.: Bulletin 13 of the International Leonid Watch: The 1998 Leonid Meteor Shower. WGN, Journal of the IMO 26 (1998), 239-248.


Kasten 1:

Meteorströme werden nach dem Sternbild benannt, in dem sich ihr Radiant befindet. Die einzige Ausnahme bilden die Quadrantiden. Ihre Namensgebung geht auf Lalandes Sternbild des Mauerquadranten zurück, das es heute nicht mehr gibt. Der Name wurde aus historischen Gründen beibehalten, gelegentlich werden die Meteore jedoch auch als Bootiden bezeichnet.


Kasten 2:

Der Meteorstrom der Juni-Bootiden taucht in den meisten heutigen Verzeichnissen aktiver Ströme nicht auf, obwohl in den Jahren 1916 und 1927 hohe Raten beobachtet wurden und mit dem kurzperiodischen Kometen 7P/Pons-Winnecke auch das Ursprungsobjekt bekannt ist. In einigen Quellen wird der Strom auch 1921 als aktiv aufgelistet, doch blieben die Raten in diesem Jahr eher gering.
1948 betrachtete Hoffmeister die Juni-Bootiden beim Abschluß seiner systematischen Suche nach Meteorstromradianten als reellen Strom, der lediglich wegen unzureichender Beobachtung nicht in seinen endgültigen Stromkatalog übernommen wurde. Auch die Arbeitsliste der IMO enthält diesen Strom nicht, denn die Aktivität war in den zurückliegenden Jahren unter der Nachweisgrenze geblieben. Kurzperiodische Kometen mit ihren Meteorströmen wie 7P/Pons-Winnecke mit den Juni-Bootiden sind ständigen Bahnstörungen unterworfen. Voraussagen über Sternschnuppenschauer sind sehr schwer zu treffen, und so war die Aktivität 1998 für alle Meteorastronomen eine große Überraschung.


Kasten 3:

1933 und 1946 sorgten die Draconiden mit Raten von mehreren Meteoren pro Sekunde für zwei der besten Meteorschauer des Jahrhunderts. Auch in den Jahren 1952, 1972 und 1985 war jeweils deutlich erhöhte Aktivität beobachtet worden. Die 13-jährige Periodizität, in die nur die Beobachtungen von 1952 nicht passen, wird durch die etwa 6,5-jährige Umlaufzeit des Mutterkometen 21P/Giacobini-Zinner hervorgerufen. Ähnlich wie bei den Leoniden ist die Aktivität immer dann besonders hoch, wenn die Erde den Schwarm der Meteoroide in der Nähe des Kometen kreuzt.


Kasten 4:

Es ist wohl nicht übertrieben wenn man behauptet, daß die Geschichte der modernen Meteorforschung mit den Leonidenschauern des 19. Jahrhunderts begann. Zwar wurden schon in den Jahrhunderten zuvor große Ausbrüche verzeichnet, jedoch erkannte man erst nach den Meteorstürmen von 1833 und 1866 die Rolle des Radianten und die zyklische Wiederkehr von Meteorströmen. Kurz darauf wurde mit den Perseiden der erste jährlich wiederkehrende Meteorstrom identifiziert. Ebenfalls um 1866 fand man mit dem Kometen 55/P Tempel-Tuttle den Ursprungskörper der Leoniden. Während sowohl der um die Jahrhundertwende fällige Ausbruch als auch der für 1933 vorhergesagte Sturm ausblieben, überraschte uns der Komet bei seinem letzten Besuch 1966 mit jenem sagenhaften Meteorsturm, bei dem von bis zu 40 Meteoren pro Sekunde berichtet wurde.


Kasten 5:

Der r-Wert oder Populationsindex gibt die Helligkeitsverteilung von Meteoren an. Er besagt, wie stark die Zahl der Meteore von Größenklasse zu Größenklasse zunimmt. Bei sporadischen Meteoren beträgt der r-Wert etwa drei, d.h. es treten drei Mal so viele Meteore bis zur Helligkeitsklasse m+1 wie bis zur Helligkeitsklasse m auf. Bei großen Metorströmen kann der Wert im Maximum etwa zwei betragen, der Anteil heller Meteore hat dann merklich zugenommen. Ein Populationsindex von 1.2 wie bei den '98er Leoniden ist die absolute Ausnahme - ein Wert von nahezu eins bedeutet schließlich, daß es überhaupt keine schwachen Meteore mehr gibt!


Sirko Molau, Rainer Arlt; letzte Änderung: 26. April 1999