aus: "Sterne und Weltraum" 35-6 (1996), S.488

Alpha-Monocerotiden 1995 - der vorhergesagte Ausbruch fand statt!

Vor dem 22.November glaubten wohl nur wenige Meteorbeobachter ernsthaft an die Vorhersagen, die allgemeine Skepsis war mit den Erwartungen der Amateure vom SL-9 Einschlag vergleichbar: Berechnungen verschiedener Astronomen hielten einen Ausbruch der zu den kaum wahrnehmbaren Meteorströmen zählenden Alpha-Monocerotiden für möglich - aber ob er wirklich stattfinden würde?
Immerhin war in den Jahren 1925, 1935 und 1985 von jeweils einem oder mehreren Beobachtern für eine extrem kurze Zeit von 20 Minuten oder weniger eine sehr hohe Aktivität mit mehreren Meteoren pro Minute beobachtet worden, die kurz darauf jeweils völlig versiegte. Das gab Anlaß zur Vermutung, es könnte eine 10-jährige Periodizität vorliegen, wobei als wahrscheinlichster nächster Zeitpunkt die Nacht vom 21/22. November 1995 in Frage kam.

So kam es, daß an jenem Morgen an den verschiedensten Stellen in Europa die Meteorbeobachter auf die Lauer gingen, um das seltene Ereignis aufzuspüren. In Chemnitz machten sich Mirko Nitschke und ich auf die Suche nach einem günstigen Beobachtungsplatz, was sich auf Grund des gerade hereingebrochenen Winters mit Schneeverwehungen, vereisten Straßen, starkem Wind und -8 Grad Celsius als ungewöhnlich problematisch erwies. Gegen Mitternacht hatten wir aber eine günstige Stelle gefunden und um 1 Uhr UT war unser speziell zur Meteorbeobachtung konzipiertes Videosystem MOVIE (siehe SuW 7/95, S.554 und SuW 8,9/95, S.666) einsatzbereit. Kurze Zeit darauf begann ich mit der visuellen Beobachtung und - das kaum für möglich gehaltene Ereignis fand wirklich statt!

Ich lag noch nicht richtig in meinem Schlafsack, als ich schon das enorme Spektakel am Himmel wahrnahm. Allein in der ersten Minute zählte ich fünf Meteore. Man hatte das Gefühl, als ob das Maximum der Perseiden für kurze Zeit in den November versetzt worden war. Ich kam kaum dazu, mich über das einmalige Ereignis zu freuen, so sehr wurde ich von den Meteoren beschäftigt. Bereits nach 15 Minuten schien der Strom der Meteore abzureißen, und wirklich: Noch einmal waren mehrere Alpha-Monocerotiden kurz hintereinander zu sehen, und gegen 1:40 UT war urplötzlich alles vorüber, als wenn jemand einen großen Schalter betätigte. In der folgenden Stunde bekam ich gerade noch einen Alpha-Monocerotiden zu Gesicht, als wenn ich nicht kurz zuvor 44 Strommeteore gezählt hätte!

Meine Begeisterung war nach der Beobachtung natürlich enorm und wurde noch von der Erkenntnis bestärkt, daß sowohl MOVIE als auch der Prototyp einer neuen Videokamera alles fleißig aufgezeichnet hatten. So konnten wir bei einer Grenzgröße von 6,2 mag binnen einer guten halben Stunde 35 bzw. 24 Strommeteore auf den Bändern registrieren. Mit Windeseile wurden noch am selben Morgen die ersten Auswertungen vorgenommen, Reports geschrieben und über das Internet in die weite Welt geschickt. Schon am Nachmittag desselben Tages trafen die ersten Berichte anderer Beobachter ein.

Mittlerweile ist das Videoband von MOVIE vollständig analysiert und es liegt eine erste globale Auswertung der International Meteor Organization von 21 Beobachtungen aus 6 Ländern vor, die von Jürgen Rendtel vorgenommen wurden. Danach trat das extrem spitze und nahezu symmetrische Maximum am 22.November um 1:28 UT mit einer Gesamtdauer von nur 22 Minuten (bezogen auf die Zeitpunkte der halben Maximumsaktivität) auf. Die höchste äquivalente Zenitrate wurde mit EZHR=420 im Intervall 1:25-1:30 beobachtet. Damit erreichte der Ausbruch der Alpha-Monocerotiden eine vergleichbare Stärke wie der spitze Peak der Perseiden in der Jahren 1991-93.

Im Gegensatz zu den bisherigen zufälligen Sichtungen des Ausbruchs konnten die Alpha-Monocerotiden dieses Mal gezielt von den Amateurbeobachtern mit verschiedenen Techniken verfolgt werden. So liegen neben den visuellen Beobachtungen europäischer Amateure und unserer Videobeobachtung weitere Videoaufzeichnungen und fotografische Parallaxen einer holländischen Beobachtergruppe sowie Radiometeorbeobachtungen verschiedener Stationen vor.

Um den Eindruck vom diesem einmaligen Ereignis noch einmal grafisch zu veranschaulichen, zeigt Abbildung 1 die Zahl der mit unserem Videosystem aufgezeichneten Alpha-Monocerotiden in Minutenintervallen. In Abbildung 2 ist eine Überlagerung aller binnen einer Stunde von unserem Videosystem MOVIE aufgezeichneten Meteore zu sehen. Das Gesichtsfeldzentrum befindet sich im Stier, am linken unteren Rand ist Orion zu erkennen. Man sieht deutlich, daß die Mehrzahl der Meteore vom AMO-Radianten links außerhalb des Gesichtsfeldes ausgingen, nur wenige Tauriden und sporadische Meteore wurden zusätzlich aufgezeichnet.


Abbildung 1: Zahl der von unserem Videosystem MOVIE aufgezeichneten Alpha-Monocerotiden

[Abbildung 1]

Abbildung 2: Strombild der Alpha-Monocerotiden

[Abbildung 2]

Aus den Videoaufzeichnungen ließ sich eine Radiantenposition (Abbildung 3) bestimmen, die mit Alpha=117 (±3)° und Delta=+1 (±2)° deutlich von den bisher angenommenen Werten abweicht. Zwar war die Verteilung der Meteore um den Radianten nicht optimal, trotzdem lassen die sehr genauen Videoaufnahmen exakte Rückschlüsse zu. Es ist zu erwarten, daß auch der bisher angenommene Wert der geozentrischen Geschwindigkeit von 60 km/s von den holländischen Parallaxenbeobachtungen deutlich verbessert wird. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß der vermutete Zusammenhang zwischen den Alpha-Monocerotiden und dem Kometen C/1943 W1 fragwürdig ist.


Abbildung 3: Der aus den Rückverlängerungen der Videometeore gewonnene Radiant weicht deutlich von der bislang vermuteten Position (grüner Kreis) ab.

[Abbildung 3]

Die Alpha-Monocerotiden sind damit ein sehr schönes Beispiel, wie im Zusammenspiel von professionellen und Amateurastronomen neue Erkenntnisse über unsere nähere kosmische Umgebung gewonnen werden können.


Sirko Molau; letzte Änderung: 18.Juli 1996