aus: "Mitteilungen des Arbeitskreises Meteore" 19-11 (1994), S.6

MOVIE kontra Murphy
oder: Gibt es vielleicht doch Meteorcluster?

Vor zwei Jahren nahm ich anhand visueller Beobachtungen verschiedene Untersuchungen zu Meteorhäufungen vor und veröffentlichte das Ergebnis später in MM [1].Die Resultate der damaligen Analyse war ziemlich eindeutig: Über einen längeren Beobachtungszeitraum im August 1992 konnten bei 3 visuellen Beobachtern, die auf Grund computergestützter Meteorbeobachtung minimale Eintragszeiten für Meteore besaßen, keine Häufungseffekte nachgewiesen werden. Lediglich zu Zeiten des direkten Perseidenmaximums ließ sich die Frage nicht sicher entscheiden, da das Beobachtungsmaterial aus diesem Zeitraum unzureichend war.
Mittlerweile liegt mir nicht nur neues Beobachtungsmaterial vor, unser Beobachterteam konnte mit der Videobeobachtung in der letzten Zeit zusätzlich ein noch genaueres Beobachtungsverfahren nutzen (in [2] und [3] ist die verwendete Technik beschrieben, in Kürze folgen auch Artikel in MM und SuW). Der Vorteil bei der Auswertung von Videobändern liegt in der hohen zeitlichen Auflösung, die keine andere Beobachtungsmethode liefert. Selbst mehrere Meteore im Abstand weniger Sekunden können mit Videosystemen fehlerfrei erfaßt und ausgewertet werden. Ich habe daher die Daten unserer MOVIE vom 11/12. August 1993 zum Gegenstand einer erneuten Suche nach Meteorclustern gemacht.
Wie bereits in [1] gezeigt wurde, müssen zufällig und ohne Häufungen im Raum verteilte Meteoroide auf der Erde in zeitlichen Abständen beobachtet werden, die einer Exponentialverteilung folgen. Es ist also bei bekannter Meteoraktivität theoretisch berechenbar, wie viele Meteore sehr dicht aufeinanderfolgen müssen und wie häufig große zeitliche Abstände zwischen zwei Meteoren sind.
Grundsätzliche Voraussetzung einer solchen Exponentialverteilung ist neben der Nachwirkungsfreiheit (es dürfen keine 'künstlichen' Häufungen vorhanden sein) die Tatsache, daß niemals zwei Ereignisse (Meteore) exakt gleichzeitig auftreten dürfen. Außerdem muß die Wahrscheinlichkeit zum Auftreten eines Ereignisses (Meteorrate) im gesamten Zeitraum konstant sein. Während man die Gleichzeitigkeit von Meteoren nahezu ausschließen kann, gibt es mit der konstanten Wahrscheinlichkeit einige Probleme. Im Gegensatz zum Beobachtungsmaterial 1992, wo wir weit ab vom eigentlichen Perseidenmaximum beobachteten, stammen die verwendeten Videodaten dieser Untersuchung direkt aus der Maximumsnacht der Perseiden '93, in der bekanntlich starke Zenitratenänderungen registriert wurden. Während die ZHR am Anfang ungefähr bei 100 lag, stieg sie in den Morgenstunden rasch auf Werte über 300 an. Die klassische Form der Exponentialverteilung, deren einziger freier Parameter lambda durch die mittlere Anzahl von Ereignissen pro Zeiteinheit festgelegt wird, ist also nicht anwendbar.
Ein Ausweg war jedoch schnell gefunden: Wenn man die Meteorrate zu jedem beliebigen Zeitpunkt kennt, läßt sich der zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Meteoren sehr einfach modifizieren und eine konstante Meteorrate vortäuschen. Wie eine Simulation (*) am Rechner gezeigt hat, muß dazu lediglich der jeweilige Zeitabstand mit der realen Meteorrate multipliziert und durch die 'gewünschte' konstante Rate lambda dividiert werden. Im Ergebnis erhält man eine Verteilung der Meteorabstände, die wieder einer normalen Exponentialverteilung (wenn es auf Grund der Nachwirkungsfreiheit keine Cluster gibt) mit bekanntem Wert lambda gehorchen muß:

F(x<t) = 1 - e exp(-(lambda*t)), dist(korr) = dist(real) * HR(real) / HR(const)

F(x<t) beschreibt die Zahl der Meteore, die in einem zeitlichen Abstand kleiner t auftreten, dist(korr) ist der auf eine konstante Meteorrate korrigierte Abstand zwischen zwei Meteoren.
Bei der Untersuchung der Videobeobachtungen am 11/12. August 1993 wurden alle aufgezeichneten Meteore herangezogen. Das vermied einerseits Fehler durch falsche Stromzuordnungen von Meteoren, andererseits war die Zahl der Nicht-Perseiden ohnehin verschwindend klein. Zunächst wurde die Meteorrate in gleitenden Halbstundenintervallen bestimmt (Diagramm 1). Hierbei ist zu beachten, daß es sich nicht um Zenitraten der Perseiden handelt, da keinerlei Korrektur für Grenzgröße, Zenitabstand des Radianten, Wolken usw. eingeführt wurde. Die berechnete Kurve spiegelt lediglich die mittlere Anzahl von Videometeoren pro Stunde wieder.

[Abbildung 1]

Im nächsten Schritt wurden die zeitlichen Abstände zwischen jeweils aufeinanderfolgenden Meteoren ermittelt und auf die beschriebene Art mit der aktuellen Meteorrate auf einen konstanten Wert von 50 Meteoren pro Stunde korrigiert, was etwa der wahren mittleren Rate in der Nacht entsprach. Insgesamt konnten so 337 Meteorabstände aus 6,52h Beobachtungszeit gewonnen werden. Schließlich wurden wie bei der letzten Auswertung Intervalle von 20 Sekunden Dauer eingeführt (0s-19s, 20s-39s, 40s-59s,...) und die Anzahl der Meteorpaare, die in die entsprechenden Klassen fallen, ermittelt. Während Diagramm 2 noch einmal das Ergebnis der Auswertung unser visuellen Beobachtungen 1992 zeigt, präsentiert Diagramm 3 das neue Ergebnis.

[Abbildung 2]

[Abbildung 3]

Wie man sieht, lassen sich auch die '93er Videobeobachtungen ausgezeichnet mit einer Exponentialverteilung beschreiben, die Bedingung der Nachwirkungsfreiheit von Ereignissen war gegeben. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Meteors war unabhängig von zuvor aufgeleuchteten Sternschnuppen und es traten damit auch zum Maximum der Perseiden definitiv keine Häufungseffekte auf dieser Zeitskala auf. Der 1992 bemerkte seltsame Effekt von Meteorhäufungen nach etwa 2,5 Minuten war nicht nachzuvollziehen. Es handelte sich dabei wie bereits früher vermutet um subjektive Einflüsse der visuellen Beobachter.
Soll das aber nun heißen, daß die schöne Theorie von Meteorclustern endgültig widerlegt ist und ad acta gelegt werden kann? Es würde sich hier ja nicht um 'Murphy's Effekt' handeln, wenn man so schnell zu einer eindeutigen Lösung käme...
Das Problem besteht in den großen Zeitintervallen: Bei der ersten Untersuchung mußten auf Grund der begrenzten Eintragsgeschwindigkeit visueller Meteorbeobachter Intervalle von 20 Sekunden Länge gewählt werden. Die Videotechnik ermöglicht im Gegensatz dazu jedoch sekundengenaue Zeitmessungen ohne Ausfallzeiten. Wir können mit ihr nach Häufungen auf viel kürzeren Zeitskalen suchen, die bei 20s-Intervallen bereits völlig verwischt sein könnten.
In einem zweiten Ansatz wurden daher Intervalle von 1s Länge zugrunde gelegt und erneut die Verteilung der 337 Meteorpaare untersucht. Im Gegensatz zur vorherigen Analyse wurden die Intervalle kumulativ berechnet (0s-1s, 0s-2s, 0s-3s,...). Damit erreicht man größere Meteorzahlen in jeder Klasse und minimiert statistische Schwankungen. Die Untersuchung berücksichtigte Meteorabstände bis zu 6 Minuten, auch wenn im Diagramm 4 nur der interessante erste Abschnitt mit Abständen bis 120s dargestellt ist.

[Abbildung 4]

Das Ergebnis ist beeindruckend: Wieder schmiegen sich theoretische und beobachtete Verteilung zunächst im ganzen Definitionsbereich eng aneinander und zeugen von der Abwesenheit jeglicher Meteorhäufungen. Nimmt man jedoch den ersten Abschnitt im Diagramm 4 (bis 12s Abstand) genauer unter die Lupe, tritt ein interessanter Effekt zutage. Hier liegen die beobachteten Meteorabstände durchweg über den theoretischen Werten, während bei größeren Werten mal die eine und mal die andere Kurve dominiert. Um dieses Resultat deutlicher zu machen, wurden im selben Diagramm die jeweiligen prozentualen Abweichungen zwischen Beobachtung und Theorie eingetragen. Besonders im ersten Intervall (0s-1s) ist der Überschuß mit fast 60 Prozent beachtlich. Erst bei Meteorabständen von mehr als 12 Sekunden stimmen Theorie und Beobachtung wieder gut überein.
Ist dies der Nachweis, daß schwache Meteorhäufungen doch vorhanden sind, wenn auch auf viel kürzeren Zeitskalen? Ein Beweis ist es leider noch nicht, zumindest jedoch ein deutliches Indiz dafür. Der Grund ist beim immer noch unzureichenden Beobachtungsmaterial verbunden mit möglichen Restfehlern in der Auswertung zu suchen. Wie Tabelle 1 zeigt, beruht gerade der interessante Teil vom Diagramm 4 auf sehr wenigen Beobachtungen. 57% Überschuß bedeuten lediglich, daß 11 anstatt von 7 erwarteten Meteorpaaren innerhalb einer Sekunde auftraten. Die Unsicherheit auf Grund kleiner Zahlen ist also sehr hoch. Zusätzlich beträgt die zeitliche Auflösung der Videobeobachtungen generell nur eine Sekunde, es sind also bei einzelnen Ereignissen durchaus Zeitbestimmungsfehler bis zu einer Sekunde möglich. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß alle zeitlichen Abstände zuvor auf eine konstante Meteorrate umgerechnet wurden, wobei die reale Rate natürlich nur genähert bekannt war. Auch von dieser Seite konnten also Fehler in die Auswertung einfließen.

Tabelle 1:

------------------------------------------------------------------------------
Abstand     |
zwischen 2  |  1s   2s   3s   4s   5s   6s   7s   8s   9s  10s  11s  12s  13s
Meteoren    |
------------------------------------------------------------------------------
beobachtete
Anzahl      | 11    14   21   21   25   34   34   41   47   49   54   57   57
------------------------------------------------------------------------------
theoretische
Anzahl      | 7,0  11,6 16,1 20,5 24,9 29,3 33,5 37,8 41,9 46,0 50,0 54,0 57,9
------------------------------------------------------------------------------
Abweichung  |+57%  +21% +30%  +2%  +0% +16%  +1%  +8% +12%  +7%  +8%  +6%  -2%
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Abschließend bleibt zu bemerken, daß sich die Videobeobachtung generell ausgezeichnet zur Untersuchung von Meteorhäufungen eignet, wie diese erste Analyse beweist. Sie liefert genauere Ergebnisse als visuelle Beobachtungsmethoden und ermöglicht detailliertere Untersuchungen an Abstandsverteilungen. Sobald umfangreicheres Datenmaterial vorliegt, werden weitere Untersuchungen folgen, die dann hoffentlich auch auf Sekundenniveau eindeutiger Aussagen zu Meteorhäufungen zulassen.

Literatur:

[1] Molau, S. (1992), "Murphy's Effekt bei der Meteorbeobachtung?",
Mitteilungen des Arbeitskreises Meteore 140, 5-8

[2] Molau, S. (1993), "MOVIE - Meteor Observation with VIdeo Equipment",
Proceedings of the International Meteor Conference 1993, 71-75

[3] Molau, S. (1994), "MOVIE - Analysis of Video Meteors",
Proceedings of the International Meteor Conference 1994, S.51-59


(*) Ein Mathematiker hätte die gleiche Lösung sicherlich mit etwas Nachdenken aus den Formeln hergeleitet. Für einen Informatiker ist es jedoch viel einfacher, schnell einmal 10.000 Meteore im Computer zu simulieren und ihr Verhalten zu überprüfen, als trockene mathematische Umformungen vornehmen zu müssen.
Sirko Molau; letzte Änderung: 8.Dezember 1994