Im ersten Teil des Artikels wurde gezeigt, welche Technik zur Aufzeichnung von Meteoren geeignet ist und wie man die anfallenden Videobänder auswerten kann. Im folgenden soll nun besprochen werden, welche Untersuchungen an Meteoren sich anschließen können. Es werden erste Ergebnisse unserer Arbeit präsentiert und weitere Einsatzmöglichkeiten der Videotechnik aufgezeigt.
Hat man erst einmal eine genügend große Zahl von Meteoren auf Videobändern erfaßt, eröffnen sich schier unzählbare Möglichkeiten von Untersuchungen an Meteorströmen oder sporadischen Meteoren. Neben den klassischen Berechnungen gibt es viele Analysen, die ohne Einsatz der Videotechnik unmöglich wären. Ein Teil der Untersuchungen beruht auf den Meteorparametern, die bei der im letzten Teil beschriebenen Auswertung einzelner Meteore anfallen. Andere wiederum können direkt aus der Sichtung der Bänder abgeleitet werden, ohne daß erst komplizierte Koordinatenberechnungen durchgeführt werden müssen. Zu ihnen zählt die Bestimmung von Stromraten, zur der man lediglich die Zeitpunkte der Meteore, ihre geschätzte Helligkeit und ihre Stromzugehörigkeit kennen muß.
Wie bereits bei der Beschreibung der Aufnahmetechnik erwähnt, kann man mit unterschiedlichen Objektiven
verschieden helle Meteore und damit auch unterschiedlich große Meteoroide beobachten. Bei Verwendung
eines Normal- oder Teleobjektivs gelang man in die Region der teleskopischen Meteore, die häufig eine völlig
andere Charakteristik als visuelle Sternschnuppen aufweisen. Benutzt man dagegen wie bei unserer MOVIE ein
Weitwinkelobjektiv, stimmen die beobachteten Meteore mit visuellen Sichtungen überein und man kann die
Stromraten beider Beobachtungsmethoden vergleichen.
Die Grenzhelligkeit des Videosystems bestimmt man im einfachsten Fall durch Sternfeldzählungen am Fernseher.
Zur Berechnung der Zenitraten wird dann der Standardalgorithmus für visuelle Beobachtungen
verwendet. Schwierigkeiten bereitet hier lediglich der Einfluß der unterschiedlichen Wahrnehmungswahrscheinlichkeit
für helle und dunkle Meteore. Man kann aber davon ausgehen, daß die Entdeckungswahrscheinlichkeit
für schwächere Meteore bei der Meteorsuche am Fernseher genau wie bei normalen visuellen Beobachtungen
sinkt, so daß die Formeln in erster Näherung gültig bleiben. Bei unserer MOVIE sind für gleiche Grenzgrößen
jedoch geringere Stromraten als für normale Beobachter zu erwarten, da das Gesichtsfeld mit 60 Durchmesser
kleiner als das eines visuellen Beobachters ist.
Abbildung 7 zeigt die Ergebnisse einer entsprechenden Berechnung für die Beobachtung am 11/12. August
1993.
In der ersten Nachthälfte zeigt MOVIE sowohl mit den drei parallel zum Videosystem beobachtenden Amateuren als auch mit den globalen Analyseergebnissen durch die International Meteor Organization eine gute Korrelation. Interessanter Weise schnellen die Videostromraten in der Morgendämmerung jedoch enorm in die Höhe und übertreffen die visuellen Werte bei weitem. Auch wenn die Korrekturfaktoren in dieser Zeit durch die verminderte Grenzgröße stark anwachsen und damit größere Fehlerbalken verursachen, ist uns der Grund für dieses Verhalten noch nicht völlig klar. Möglicher Weise sind Videosysteme unempfindlicher gegenüber hellem Himmel als visuelle Beobachter. Endgültige Schlußfolgerungen bedürfen aber noch weiterer Analysen.
An den schon zur Stromratenberechnung verwendeten Meteorparametern lassen sich noch andere Untersuchungen
vornehmen. So ermöglicht die exakte Ermittlung der Zeiten von dicht aufeinanderfolgenden Meteoren
zum ersten Mal eine objektive Analyse der immer wieder diskutierten Meteorhäufungen.
Worum geht es bei diesem Phänomen? Jeder visuelle Meteorbeobachter kennt sicher das mit 'Murphy's Gesetz'
vergleichbare Problem: Man liegt in einer eisig kalten Nacht im Freien und schläft fast ein, weil die Meteoraktivität
wie so oft nahe Null ist. Da zuckt nach langem Warten plötzlich eine schwache Sternschnuppe am
Himmel auf. Freudig erregt durchdenkt man das eben Gesehene und rekonstruiert in Gedanken die Meteorbahn.
Ehe man die Sternschnuppe jedoch in die Karte einzeichnen kann, taucht zu allem Überfluß ein zweites
Meteor auf. Man steht nun vor dem Problem, entweder beide Meteore im Kopf zu behalten und zu versuchen,
trotzdem genaue Bahnen zu zeichnen, oder die zweite Sternschnuppe einfach zu ignoriert und damit die halbe
Aktivität der nächsten Stunde zu verschenken. Da man sich einen solchen Verlust nicht leisten will, tätigt man
sich in Gehirnakrobatik und verzweifelt spätestens dann, wenn als Krönung in diesem unpassenden Augenblick
ein drittes Meteor aufleuchtet. Natürlich kann man nun fast sicher sein, daß die Sternschnuppen in den
nächsten 15 Minuten wieder eine 'Ruhepause' einlegen werden.
Die Frage ist, ob der von Beobachtern oftmals beschriebene Effekt rein psychologischer Natur ist, oder ob
Strommeteore wirklich in Gruppen gehäuft auftreten. Unsere eigenen Untersuchungen visueller Beobachtungen
[3] decken sich mit den Ergebnissen anderer Amateure, daß Meteorhäufungen subjektive Empfindungen sind
und vollständig den Gesetzen einer zufälligen Verteilung der Meteoroide im Raum gehorchen (Abbildung 8).
Erst die Videobeobachtung versetzt uns jedoch in die Lage, nach Clustereffekten auf kürzeren Zeitskalen zu suchen, die einem visuellen Beobachter aus den genannten Gründen entgehen würden. Legen wir die gleiche zeitliche Auflösung wie bei unserer Auswertung visueller Beobachtungen von 1992 zugrunde, zeigen auch Videobeobachtungen von 1993 keinerlei Meteorhäufungen. Gerade eine detaillierte Analyse sehr kurzer zeitlicher Abstände läßt jedoch den vermuteten Überschuß an Meteoren mit wenigen Sekunden Abstand erahnen [4], der in Zukunft noch an Hand umfangreicheren Beobachtungsmaterials bestätigt werden muß.
Bei der computergestützten Auswertung von Meteoren fallen in großem Maßstab Positionen von Strommeteoren
an. Mit ihrer Hilfe lassen sich nicht nur genaue Radiantenpositionen bekannter Ströme bestimmen
und neue Meteorströme nachweisen, man kann sogar wie bei teleskopischen Meteorbeobachtungen Feinstrukturen
der Radianten erkunden. Dazu müssen keine zusätzlichen Computerprogramme geschrieben werden, da
bereits exzellente Software existiert.
Für den Radiantenplot in Abbildung 9 haben wir das Programm Radiant von Rainer Arlt [5] verwendet, das
genau für solche Untersuchungen entwickelt wurde. Als Datenbasis dienten die Bahnen von 109 Perseiden, die
bei der Auswertung unserer Beobachtungen vom August 1994 bestimmt wurden.
Leider war in diesem Jahr die Positionierung von MOVIE nicht optimal. Fast alle Beobachtungen stammen aus der Region des Sommerdreiecks, nur sehr wenige Meteore wurden dagegen orthogonal dazu in Cetus und Andromeda beobachtet. Daher muß die wahre Existenz der interessanten Strukturen, die im Perseidenradianten sichtbar werden, noch durch weitere Beobachtungen überprüft werden.
Bei der Bearbeitung der Perseidenbeobachtungen von 1994 fiel uns auf, daß die visuell geschätzten Meteorhelligkeiten systematisch von den berechneten Helligkeiten der Videometeore abwichen. Im Anschluß an die Auswertung überprüften wir daher, ob direkte Parallelsichtungen von Meteoren diesen Effekt bestätigen, oder ob es sich um eine Täuschung handelt. Das Ergebnis dieses Tests, das genau den ersten Vermutungen entsprach, ist in Abbildung 10 zu sehen.
Die 125 visuellen Helligkeitsschätzungen waren im Mittel eine Größenklasse schwächer als die Werte der
zugehörigen 68 Videometeore. Nun ist zu beachten, daß die visuelle Helligkeit von Meteoren in ganzen
Größenklassen erfaßt wurde, während die Videoauswertung eine Genauigkeit von 0,1 mag verwendet. Trotzdem
kann das nicht die deutliche Verschiebung der Helligkeitsverteilungen erklären. Die im zweiten
Diagramm von Abbildung 10 dargestellten absoluten Helligkeitsdifferenzen müßten bei übereinstimmenden
Helligkeiten symmetrisch um den Nullpunkt streuen, was sie aber nicht tun. Woher die Differenzen stammen,
ist noch nicht völlig klar, systematische Fehler bei der Helligkeitsberechnung durch den Computer können
jedoch ausgeschlossen werden. Vermutlich läßt sich ein visueller Meteorbeobachter bei seiner
Helligkeitsschätzung mehr vom Gesamteindruck des Meteors leiten, während das Videosystem exakt die maximale
Helligkeit entlang der Bahn des Meteors ermittelt.
Neben solchen Tests verschiedener Beobachtungsmethoden sind noch zahlreiche weitere Untersuchungen an
Videometeoren denkbar. Zu nennen wäre zum Beispiel die Meteorparallaxenbestimmung und Ableitung von
Bahnelementen der Meteoroide, die eines der Hauptgebiete bei der fotografischen Meteorbeobachtung ist. Der
Einsatz von Videotechnik kann auf diesem Gebiet bahnbrechende Fortschritte bringen. Zwar können die
gewonnenen Meteorpositionen und Bahndaten in ihrer Genauigkeit nicht mit Meteorfotografien konkurrieren,
dafür gleicht die große Zahl von Doppelbeobachtungen bei parallelem Einsatz zweier Videosysteme diesen
Nachteil völlig aus. Es existieren bereits Arbeiten verschiedener internationaler Beobachtergruppen, in denen
hunderte von Bahnelementen der kleinsten Partikel im Sonnensystem ermittelt und Rückschlüsse auf ihre
räumliche Verteilung gezogen werden konnten ([6],[7]).
Leider wurden diese Beobachtungen aber nur in begrenzten Zeiträumen gemacht. Eine dauernde Überwachung
des Himmels durch zwei parallele Stationen steht
noch aus und hat daher besondere Priorität. Erste Versuche von uns, zusammen mit unseren holländischen
Freunden Videoparallelbeobachtungen der Perseiden vorzunehmen, schlugen auf Grund des schlechten Wetters
und technischer Probleme in diesem Sommer leider fehl. Auf jeden Fall werden wir uns in Zukunft aber weiter
auf diesem Gebiet versuchen.
Als weitere Anregung zur Nutzung von Videosystemen sei schließlich die Aufzeichnung von Meteorspektren
genannt. Auch hier ist das Vermögen des benutzten Technik, sehr schwache Meteore aufzeichnen zu können,
von unschätzbarem Wert. Man setzt bei der Beobachtung ein Objektivprisma vor die abbildende Optik und
zeichnet die Spektren der sichtbaren Objekte auf. Über erreichbare Auflösungen und Grenzhelligkeiten liegen
uns keine Informationen vor, da wir noch nicht von derartigen Experimenten gehört haben. Auf jeden Fall
sollte eine solche Konfiguration bei vorhandener Technik einmal ausprobiert werden.
In verschiedenen Teilen des Artikels konnte gezeigt werden, welche Potenzen im Einsatz von Videotechnik
liegen. Hauptproblem beim Start auf diesem Gebiet wird die Beschaffung eines guten Bildverstärkers sein. Hat
man die nötige Technik aber erst einmal zusammen, ist die Aufzeichnung des Himmels und der Meteore relativ
einfach. Mehr Arbeit bereitet später die Auswertung der Videobänder, wobei die benötigten Algorithmen zum
größten Teil bekannt sind. Der Autor hat ein Softwarepaket entwickelt, daß die computergestützte Auswertung
von Videobändern übernimmt, und stellt es nach zukünftigen Verbesserungen gern allen Interessierten zur
Verfügung.
Wer weitere Informationen zu unserem Videosystem MOVIE und dem Auswertungsprogramm wünscht, dem
sei [8] und [9] empfohlen. Schließlich können
wir allen Interessierten die Kopie eines Demovideos anbieten,
das schon so manchem professionellen Meteorbeobachter die Sprache verschlug. Gegen Übersendung einer
Spende von 30 DM an den Arbeitskreis Meteore (AKM e.V.) erhält man einen 10-minütigen Zusammenschnitt
der 80 schönsten Sternschnuppen, die wir während des Perseidenmaximums 1993 aufzeichnen konnten. Für 50
DM kann man auch eine Kopie des kompletten 3-stündigen Originalvideos erhalten. Bei Interesse wende man
sich bitte an den AKM oder direkt an den Verfasser.